Literaturtipp: John Seymour: Und dachten, sie wären die Herren : der Mensch und die Einheit der Natur

„Der Deutsche-Taschenbuch-Verlag veröffentlichte 1984, also während der ersten Blüte der Ökologiebewegung, dieses Paperback von 183 Seiten, geschrieben von dem britischen Autor und Ökobauern John Seymour, der auch als „Father of Self-Sufficiency“ bekannt wurde. Der Autor liefert in diesem Werk eine engagiert, teils geradezu emotional, geschriebene Kritik des rücksichtslosen Umgang mit der Natur, der die westliche Wirtschafts- und Lebensweise kennzeichnet.

Dabei bewegt er sich zunächst chronologisch durch die Geschichte der Menschheit, angefangen mit der Altsteinzeit. Sein Kronzeuge für diese älteste Epoche ist ein persönlicher Freund, Joseph, ein !Kung-„Buschmann“, mit dem zusammen er in jungen Jahren Viehherden auf einer Farm in Südafrika hütete. Als Vertreter einer Jäger-und-Sammler-Kultur empfand sich Joseph völlig als Teil der Natur; er hinterließ keinerlei Spuren in der Natur, weder zum Guten, noch zum Schlechten. Einen Busch zurück zuschneiden oder einen Weg anzulegen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. So vertraut war er mit der Natur, dass er Nahrung in ihr finden konnte, ohne richtig dafür arbeiten zu müssen.

Die Arbeit wurde erst in der Jungsteinzeit erfunden, als Ackerbau und Viehzucht eingeführt wurden. Vorräte und Herden luden zum Diebstahl ein; die ersten Kriege um fruchtbares Land wurden geführt. Große Städte entstanden, deren Bewohner ihre Nahrung nicht mehr selbst anbauten; die ganze Geschichte der Menschheit seit der Jungsteinzeit sei eine Geschichte der Ausbeutung der das Land bebauenden Bauern durch die Städter, so kurz und prägnant fasst Seymour den Lauf der Dinge zusammen.

Auf den riesigen Latifundien im römischen Reich, von Sklaven bewirtschaftet, ging es schon recht kapitalistisch zu; aber die Monokulturen ließen den Boden veröden, so dass Rom sich schließlich von nordafrikanischem Getreide ernähren musste.

Die Rolle des Christentums im Verhältnis zwischen Mensch und Natur ist ambivalent; einerseits wurde der Mensch als Herrscher über die Natur betrachtet, andererseits wurde die Natur als Gottes Werk respektiert und, etwa in Gestalt von Klostergärten, sorgsam gepflegt. Für Kapitalisten waren die Zeiten ungünstig: die Reichen waren durch göttlichen Beschluss reich, nicht durch kluge Karriere- und Wirtschaftsplanung, sie hatten keinen Bedarf, ihren Reichtum weiter zu steigern, und keinen Anreiz, die Natur auszubeuten.

Dies änderte sich erst nach der Reformation, als in den protestantischen Ländern die ursprüngliche Selbstversorgungswirtschaft durch eine Geldwirtschaft ersetzt wurde. Eine neue Gesellschaftsschicht entstand, gierig auf Geld und Land, sie hatte keine Ehrfurcht mehr vor der Natur. Die Produktion von Wolle und Tuch versprach hohe Gewinne, daher mussten Wälder und Moore Schafweiden weichen, wurden Bauern von ihrem Land vertrieben.

Die Industrielle Revolution entwurzelte die Masse der Bauern endgültig und verwandelte sie in Maschinenbediener. Von Karl Marx war wenig Hilfe zu erwarten, er war ein Kind der Großstadt und verbrachte den größten Teil seines Lebens im Lesesaal der Bibliothek des Britischen Museums. Die verbleibenden Bauern wollte er vor der „Idiotie des ländlichen Lebens“ retten, sie sollten lieber auch Fabrikarbeiter werden.

Die Darstellung des Buches mündet in die Gegenwart; angesichts der Schäden, die der heutige Mensch mit seiner industriell betriebenen Wirtschaftsweise an der Natur anrichtet, bekommt er von Seymour den Titel „Homo extinctor“ verpasst. Zitat: „Der homo extinctor zerstört alles, was auf seinem Grund und Boden lebt, Pflanzen und Tiere, soweit sie ihm nicht unmittelbar von ökonomischen Nutzen sind.“

Seymour war nicht nur ein erfahrener Bauer, sondern zeitweise auch Hochseefischer; und folglich wird auch die gegenwärtige (~1982) Situation in der Fischerei thematisiert. Früher empfanden die Fischer Zuneigung und Respekt für die Beute, die sie jagten; heute werden mit Schlepp- und Ringnetzen wahllos alle Lebensformen in einem großen Radius vernichtet. Die Fischer sind sich durchaus bewusst, dass sie die Bestände massiv überfischen. Warum sie es trotzdem tun? Das fragte Seymour und bekam zur Antwort: „Welchen Sinn hat es, wenn ich aufhöre? Die anderen machen weiter. Und ich muss mit den anderen konkurrieren, um leben zu können. Es sind sowieso kaum mehr Seezungen übrig – und die einzige Möglichkeit, die noch zu fangen, besteht darin, den Meeresgrund zu durchpflügen.“

Das Buch zeichnet eine ähnlich deprimierende Antwort eines kalifornischen Tomatenbauern auf, der erklärt, warum er mit riesigen Erntemaschinen und Tonnen an Kunstdünger und Pestiziden seinen Boden ruiniert; besonders deprimierend dabei ist, dass er bei seinem Tun genau weiß, dass er selbst im besten Fall zu Lebzeiten nicht aus seinen Schulden herauskommen wird.

Auf die Wissenschaftler, die diese industriellen Wirtschaftsmethoden möglich gemacht haben, ist Seymour nicht so gut zu sprechen. Der „große und mächtige Supermann im weißen Kittel und Brille“, den der Homo extinctor als Gott verehrt, bekommt wiederholt sein Fett weg. Einstein hat seinen Fehler wenigstens eingesehen: „Wenn ich die Folgen geahnt hätte, wäre ich Uhrmacher geworden.“

Gegen Ende wird das Buch zunehmend emotionaler, die Anzahl der Ausrufezeichen pro Seite steigt an. Seymour ruft die Menschheit auf, ihre geistigen Werte zurechtzurücken und wieder ein Gefühl für die Heiligkeit des Lebens zu entwickeln, anstatt weiterhin nur um Geld und Macht zu wetteifern. Sodann hadert er mit der Bevölkerungsexplosion und stellt kategorisch fest, dass es gegenwärtig zu viele Menschen gibt. Großstädte mag er überhaupt nicht, eine Schande sind sie, die den Planeten entstellt; es sollten alle wieder aufs Land ziehen und traditionelle Landwirtschaft betreiben.

Es finden sich aber auch realistische und nützliche Vorschläge, so die „Sechs Gesetze für gute Landwirtschaft“ oder eine Liste mit konkreten Maßnahmen, z.B. „Boykottieren wir, soweit wir können, alle Riesenunternehmen und multinationalen Konzerne; unterstützen wir die lokale Wirtschaft (…) wir werden den Großindustriellen klarmachen, dass wir ihre schmutzigen Produkte nicht wollen – wir werden zu einem bescheidenen Leben und zur Bedürfnislosigkeit zurückkehren.“ Schön wäre das ja.

Und noch ein Detail, das mir besonders gefällt: Seymour ruft jeden von uns auf, das zu tun, was richtig ist, aber nicht, weil wir uns einbilden, dass es zum Erfolg führen werde; vielmehr sollen wir es tun, einfach weil es das Richtige ist, unabhängig davon, ob es etwas bewirkt.

Zwar ist das Buch heute vergriffen, es lässt sich aber ohne weiteres antiquarisch beschaffen.“ (Andreas G.)

Vielen Dank, Andreas, für diese Zusammenfassung und Kritik in einem!

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